ÜBER UNS / BERICHTE


Walter kämpft jeden Tag dafür, trocken zu bleiben
»Ich will aufhören, aber ich habe den Dreh nicht raus«


OASE Rottenburg


Als Winzersohn war Walter schon immer mit Alkohol in Kontakt. Später übernahm er den Weinberg seines Vaters, aber die Zukunft im rumänischen Siebenbürgen sah alles andere als rosig aus. Der 51-Jährige kam mit seiner Familie nach Deutschland, doch hier hat er kein Glück gefunden. Der Verlust des Arbeitsplatzes, die Scheidung von seiner Frau, Gewalttätigkeit und Gefängnis haben diese Jahre geprägt – einmal ist er bereits aus der Oase geflogen, weil er wieder getrunken hat. Seit dem 9. November 2014 ist er jetzt trocken. Und kämpft jeden Tag dafür, dass das so bleibt.

»Deutschland hat mir kein Glück gebracht«, sagt Walter mit rauer Stimme, »vielleicht hätten wir in Siebenbürgen bleiben sollen. Doch wer hätte das ahnen können«, fügt er hinzu und schaut aus dem Fenster auf die Rottenburger Straßen. Seine Eltern entschieden sich 1986, ihre Heimat zu verlassen und landeten in Böblingen. Damals blieben der heute 51-Jährige, seine Frau und seine vier Kinder noch auf dem elterlichen Weingut zurück. »Aber nach jedem Regimewechsel ging es bei uns drunter und drüber und es war uns wichtig, unseren Kindern eine gute Richtung vorzugeben«, erklärt Walter. Also entschied sich die Familie, seinen Eltern nachzufolgen und nach Deutschland zu gehen.
»Wir haben unseren Hof verkauft und den Acker verschenkt, unseren Weinberg haben wir verpachtet«, berichtet der große, kräftige Mann mit dem grauen Bart und der randlosen Brille. »Unser Ziel war es, in unsere Heimat zurückzukehren, sobald unsere Kinder auf eigenen Füßen stehen« – doch es sollte anders kommen.
Am 2. November 1991 kam die Familie in Deutschland an und fand ihre erste Anlaufstelle in Empfingen im Landkreis Freudenstadt. Der gelernte Schlosser und Schweißer bemühte sich um Arbeit und fand sie bei einer Firma in Sindelfingen. Drei Jahre war er dort tätig, dann begann das Unternehmen, seine Mitarbeiter zu entlassen. Auch Walter traf es. »Wir wurden von Empfingen nach Sachsen geschickt, aber dort habe ich keine Arbeit gefunden«, sagt er leise, gemeinsam mit seiner Familie lebte er in einem winzigen Ort in einem Übergangsheim und die wirtschaftliche Situation wurde immer schwieriger. »Ich musste etwas tun, habe mich dann bei einer Leihfirma in Sindelfingen beworben und eine Stelle bekommen.« Der 51-Jährige zog wieder zurück nach Baden-Württemberg, um zu arbeiten, seine Familie kam eineinhalb Jahre später nach, als er endlich eine Wohnung in Gärtringen gefunden hatte. »Bei der Leihfirma habe ich viel Geld verdient, in dieser Zeit ging es uns gut«, erinnert er sich wehmütig. »Wir waren etabliert, die Kinder haben gute Schulen besucht und tolle Ausbildungen gemacht, alles war in Ordnung.«
Nach fünf Jahren wechselte der Familienvater zu einem anderen Unternehmen, auch diese Arbeit gefiel ihm, doch er war häufig auf Montage in Heidelberg. »Alkohol hat für mich immer dazugehört, damals habe ich am Wochenende getrunken, aber sonntags nachmittags, bevor ich wieder auf Montage musste, war Schluss.« Eines Tages, als er früher aus Heidelberg zurückkam und seine Frau überraschen wollte – »unsere Kinder waren in einem Ferienlager in Österreich« – erwischte er sie zu Hause im Bett mit ihrem Chef. Walter rastete aus: »Ich habe eine Flasche Wodka auf ex getrunken und den Mann zusammen geschlagen. Danach war mir alles scheißegal.«
Der 51-Jährige zog aus der gemeinsamen Wohnung aus und sein Alkoholkonsum nahm immer mehr zu. »Ich habe noch gearbeitet, aber in dieser Zeit täglich getrunken.« Das Gerichtsverfahren wegen Körperverletzung an dem Chef seiner Frau lief, doch wegen des starken Alkoholeinflusses kam der 51-Jährige mit einer Bewährungsstrafe davon. 2002 reichte er die Scheidung ein – »ich bin gläubig und habe bei unserer Hochzeit vor Gott geschworen, dass ich meiner Frau treu bin«, stellt er klar, »dass sie dieses Versprechen einfach so gebrochen hat, kann ich ihr nicht verzeihen. Ich wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben!« Zehn Jahre später trank Walter immer noch zu viel und wurde eines Tages mit 4,2 Promille auf dem Fahrrad erwischt. »Das hat mir drei Monate Gefängnis eingebracht«, ärgert er sich – inzwischen hat er insgesamt zwölf Verfahren hinter sich, bei jedem Delikt war Alkohol im Spiel.
Auch nach der Scheidung gab es immer wieder Stress mit seiner ehemaligen Frau. Am Wochenende waren die Kinder bei Walter, dann wollte einer seiner Söhne bei ihm einziehen. Ein neuer Streit mit seiner Exfrau brach aus. Situationen, in denen sich der Vater von vier Kindern oft nicht Griff hatte. »Sie hat mich wegen Bedrohung angezeigt«, erzählt er, »und ich musste sechs Monate ins Gefängnis.« Als er endlich wieder raus durfte, fühlte er sich nicht mehr in der Lage, zu arbeiten, »stattdessen habe ich mir so richtig die Kante gegeben. Ich habe vorwiegend Wein getrunken und es dauerte nicht lange, bis ich meinen Führerschein verloren habe.« Walter merkte, dass er so nicht mehr lange weitermachen konnte – »ich habe mich dann entschieden, eine Langzeittherapie zu machen.«
Die Therapie tat ihm gut, er fand eine neue Freundin und schaffte es, vier Jahre lang keinen Tropfen Alkohol zu trinken. Endlich verlief sein Leben wieder in ruhigen Bahnen. Bis zu jenem Tag vor zehn Jahren. »Meine Freundin war mit ihrer Familie im Urlaub in Thailand, wir waren damals fast vier Jahre zusammen und wollten nach ihrer Rückkehr zusammen ziehen«, erzählt er, »ich hätte mir sogar vorstellen können, sie zu heiraten.« Er hält inne und fährt sich mit den Fingern durchs Haar. »Die Familie hatte in Thailand einen Autounfall, ihr Vater wurde schwer verletzt, ihr Bruder ist seitdem querschnittsgelähmt und meine Freundin ist bei dem Unfall gestorben.«
Er schluckt. »Da hatte ich einen Rückfall und bin wieder total abgestürzt. Ohne eine halbe Flasche Wodka am Morgen bekam er sein Zittern nicht in den Griff, unter acht bis zehn Litern Wein am Tag schaffte er es nicht. »Ruhige Hände hatte ich ungefähr ab zwei Promille.«
Vor vier Jahren hat Walter seine letzte Therapie gemacht, seit sechs Jahren ist er arbeitslos, vor acht Jahren war er schon einmal in Elke Mildners Oase, ist aber rausgeflogen, als er getrunken hat. Jetzt ist er wieder da, wohnt in einer der Wohngemeinschaften und kämpft jeden Tag darum, weiterhin clean zu bleiben. Seit dem 9. November 2014 ist er trocken. »Ich weiß nicht, woher diese Rückfälle immer kommen, vielleicht bin ich noch nicht krank genug, um wirklich zu kapieren, wie sehr mir der Alkohol schadet«, bemerkt der 51-Jährige, der dankbar ist, dass er bei Elke Mildner leben darf, »in meinem alten Umfeld hätte ich nicht bleiben können. In der Oase gibt es eine gewisse Hemmschwelle, wieder zu trinken, außerdem wohne ich bei Elke gegenüber, das ist gut.« Gerade hat Walter die Auflage, an einem 100-Tage-Programm teilzunehmen. Jeden Tag muss er zur Alkoholkontrolle zum Pusten. »Ich stelle mir selber Regeln auf«, erklärt er, »wie viel ich esse, wie oft ich rauche und dass ich nicht saufe! Ich will ja aufhören«, meint er dann leise, »aber ich habe den Dreh nicht raus, wie ich das hinbekomme.« Für ihn ist der Saufdruck immer da und belastet ihn sehr – »und das andere, das mir zu schaffen macht, ist das Heimweh nach Rumänien –nach Deutschland zu kommen, hat mir einfach kein Glück gebracht«, betont er und zuckt die Schultern. »Aber was soll es, das lässt sich jetzt nicht mehr ändern«, sagt er dann, »ich bin ja hart im Nehmen!«
Diana Müller, Katholisches Sonntagsblatt, 2014

Walter spürt den Druck jeden Tag, wieder zur Flasche zu greifen. Seit dem 9. November dieses Jahres hat er es nun schon geschafft, trocken zu bleiben – und hofft ganz fest darauf, durchzuhalten.

Foto: dim